Ein öffentlichen Seminar der Freud-Lacan-Gesellschaft Berlin
Leitung: Claus-Dieter Rath
Liebe Teilnehmer und Interessenten,
die nächste Sitzung dieses Seminars findet am Samstag, 7. November nur via ZOOM statt.
Wer teilnehmen möchte, melde sich per E-Mail an (bei RathCD@aol.com). Sie erhalten wenige Tage vorher eine Einladung mit einem Teilnahmecode.
Die Veranstaltung beginnt 17.15h. Sie können sich aber schon ab 17.00h einklinken.
Samstag 7. November (17.15h – 19h):
Claus-Dieter Rath: Verpönung, Erniedrigung und Überschätzung. Grenzoperationen im Sexual- und Liebesleben
Verdrängung und Symptombildung als auch die Sublimierung gehen aus kollektiver und individueller Sexualunterdrückung hervor.
Mit seiner klinischen Lesart der „Verpönung“ unterstreicht Lucien Israëls eine besondere Mischung aus Verbot und Beschlagnahmung des kindlichen Körpers durch eine elterliche Autoritätsperson.
Welche Wege und Ziele (er-)finden die Subjekte beim Begehren, beim Lieben und beim Sex? Woran halten sie sich und wovon lassen sie sich abhalten?
Zur Einführung hier zwei Passagen aus Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie:
„Die psychische Wertschätzung, deren das Sexualobjekt als Wunschziel des Sexualtriebes teilhaftig wird, beschränkt sich in den seltensten Fällen auf dessen Genitalien, sondern greift auf den ganzen Körper desselben über und hat die Tendenz, alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen mit einzubeziehen. Die gleiche Überschätzung strahlt auf das psychische Gebiet aus und zeigt sich als logische Verblendung (Urteilsschwäche) angesichts der seelischen Leistungen und Vollkommenheiten des Sexualobjektes sowie als gläubige Gefügigkeit gegen die von letzterem ausgehenden Urteile. Die Gläubigkeit der Liebe wird so zu einer wichtigen, wenn nicht zur uranfänglichen Quelle der Autorität.“
(Sigmund Freud 1905: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, GW 5, S. 49/50)
„Man wird hier auf das Moment des Ekels aufmerksam, welches der libidinösen Überschätzung des Sexualobjekts in den Weg tritt, seinerseits aber durch die Libido überwunden werden kann. In dem Ekel möchte man eine der Mächte erblicken, welche die Einschränkung des Sexualzieles zustande gebracht haben. In der Regel machen diese vor den Genitalien selbst Halt. Es ist aber kein Zweifel, daß auch die Genitalien des anderen Geschlechts an und für sich Gegenstand des Ekels sein können, und daß dieses Verhalten zur Charakteristik aller Hysterischen (zumal der weiblichen) gehört. Die Stärke des Sexualtriebes liebt es, sich in der Überwindung dieses Ekels zu betätigen. […]“
(Ebenda, S. 51)
Zur Lektüre empfohlen:
- Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (bes. Abschnitt 2: Abweichungen in Bezug auf das Sexualziel … a) Anatomische Überschreitungen; GW 5, S. 48-54, SA 5, S. 60-64)
- Freud, Sigmund (1912d): Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens (›Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens‹). GW 8, S. 78-91; SA 5, S. 199-209 (bes. Abschnitt 1)
- Gisie, Hervé: Die Verpönung [bezogen auf die betreffenden Arbeiten von Lucien Israël]: Hier
- Israël, Lucien (1974): Verpönung.
In: La jouissance de l’hystérique. Séminaire 1974, Paris (ed. Arcanes) 1996, Kap. 7, S. 144-159
- Israël, Lucien (1975) : La Verpönung.
In: Le désir à l’œil. Séminaire 1975, « La perversion de Z à A ». Paris (Arcanes) 1994, Kap. 4, S. 40-49.
- Israël, Lucien (1976): Die Verpönung – L’opprobre.
Anonym erschienen in der Zeitschrift Scilicet 6/7, 1976, S. 142-156 (Zeitschrift der Lacan’schen École freudienne de Paris)
[Wer sich angemeldet hat, kann diese drei Texte Israëls als Kopie erhalten.]
Die Teilnehmer dieses Seminars erkunden die Funktion von Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, wie sie sich in der psychoanalytischen und politischen Erfahrung darstellen.
Dazu gehören folgende Fragen: Wenn heute allenthalben Grenz-Spektakel inszeniert werden, vermag die Psychoanalyse das darin wirkende Begehren und Aufbegehren zu erhellen und Zusammenhänge etwa mit Problematiken des Körper-Ichs und der Besetzung erogener Randzonen zu erkennen? Wie funktioniert psychisch das Abgrenzen, Ausgrenzen und Eingrenzen, Isolieren, Eindämmen in Neurose, Psychose, Perversion? Und wie das Umschlagen von Lust/Unlust und Schmerz? Von Bindung und Entbindung? Was bewirken die unterschiedlichen Formen der Verwerfung? Wie kann – "Lust an der Grenze" – plaisir die überbordende jouissance eindämmen?
Gelingt es uns, Beziehungen darzustellen zwischen der psychischen Organisation und
- dem propagandistischen Schreckensbild offener Grenzen, in deren Folge die einheimische Bevölkerung und ihre Kultur in einer Migrantenflut umkommen sollen,
- subjektiven und kollektiven Identifizierungszwängen, den Politiken der Andersartigkeit, dem Beschwören einer besonderen Gruppen-Identität und einer diffusen Sehnsucht nach Souveränität,
- Globalisierungsangst, Entgrenzungssehnsucht und die Wirksamkeit von Befreiungsversprechen, die zur Einschließung in Kommunikations- und Zeichensysteme verführen,
- der Faszination am Niederreißen von Grenzen oder an (kalkulierten, provokativen, kopflosen) Grenzüberschreitungen,
- der Koexistenz von Gefühlsrohheit und höchster Sensibilität im Narzissmus der kleinen Differenzen,
- der Aufhebung von Grenzkontrollen oder deren Wiedereinführung (auch bezüglich sprachlicher und sittlicher Korrektheit oder ästhetischer und ökologischer Richtwerte und Normen)?
Wie werden diese Prozesse in kollektiven und individuellen Mythen transportiert? Welche Rolle spielen dabei Sprache, Topologie (mit ihren Schranken und Knotungen) und Sexualität?
Studieren wir auch die Grenze als Verbindende, also den Grenzverkehr zwischen den "Reiche[n], Gebiete[n], Provinzen, in die wir den Seelenapparat der Person zerlegen" (Freud: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, GW XV, S. 79).
"Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres Selbst, unseres eigenen Ichs. Dies Ich erscheint uns selbständig, einheitlich, gegen alles andere gut abgesetzt. Dass dieser Anschein ein Trug ist, dass das Ich sich vielmehr nach innen ohne scharfe Grenze in ein unbewusst seelisches Wesen fortsetzt, das wir als Es bezeichnen, dem es gleichsam als Fassade dient, das hat uns erst die psychoanalytische Forschung gelehrt, die uns noch viele Auskünfte über das Verhältnis des Ichs zum Es schuldet. [...]
Die Pathologie lehrt uns eine große Anzahl von Zuständen kennen, in denen die Abgrenzung des Ichs gegen die Außenwelt unsicher wird, oder die Grenzen wirklich unrichtig gezogen werden; Fälle, in denen uns Teile des eigenen Körpers, ja Stücke des eigenen Seelenlebens, Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle wie fremd und dem Ich nicht zugehörig erscheinen, andere, in denen man der Außenwelt zuschiebt, was offenbar im Ich entstanden ist und von ihm anerkannt werden sollte. Also ist auch das Ichgefühl Störungen unterworfen und die Ichgrenzen sind nicht beständig."
Freud (1929): Das Unbehagen in der Kultur, GW XIV, S. 423f.
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Die weiteren Samstagstermine (immer 17-19h) sind voraussichtlich
5. Dezember: C.-D. Rath: Feiern. Das Fest als Grenz-Fall des Gesetzes und Genießens.
Teilnahmegebühr: Wer nicht Mitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft (FLG) ist, bezahlt 10€ pro Sitzung (Studenten u. Arbeitslose 5€).
Hier die Bankverbindung der FLG:
IBAN: DE67 1004 0000 0572 7128 00
BIC: COBADEFFXX (Commerzbank Berlin).
Freud-Lacan-Gesellschaft (www.freud-lacan-berlin.de; auch in facebook)
Das aktuelle Programm auf der Internetseite unter "Arbeitsgruppen & Seminare 2020"
Ort: Psychoanalytische Bibliothek Berlin
Hardenbergstr. 9, 10623 Berlin, Hinterhaus, Erdgeschoss (www.psybi-berlin.de)
(U2 Ernst-Reuter-Platz, SB Savignyplatz, SB, U2, U9 Zoologischer Garten)
Kontakt: Claus-Dieter Rath, Niebuhrstr. 77, 10629 Berlin (RathCD@aol.com)