Phantastische Konstruktionen der Einmauerung und des Ausgeschlossenseins
Ein öffentliches Seminar der Freud-Lacan-Gesellschaft Berlin
Leitung: Claus-Dieter Rath
Liebe Teilnehmer und Interessenten,
die nächste Sitzung dieses Seminars findet am Samstag, 13. Februar 2021 nur via ZOOM statt.
Wer teilnehmen möchte, melde sich per E-Mail an (bei RathCD@aol.com). Sie erhalten wenige Tage vorher eine Einladung mit einem Teilnahmecode.
Die Veranstaltung beginnt 17.15h. Sie können sich aber schon ab 17.00h einklinken.
Auch dieses Mal bezieht sich das Seminarthema „Lust an der Grenze“ auf individuelle und kollektive Dimensionen des Wissens und des Nichtwissenwollens.
Verwerfung nennt Freud drei verschiedene Formen der Ausgrenzung bzw. der Nicht-Annahme. Die erste davon, die uns diesmal interessiert, kommt ohne eine kritische Urteilsfindung reflexhaft zur Abweisung eines behaupteten unerträglichen Sachverhalts. Dieser wird als inexistent und seine Behauptung zu einer niederträchtigen Lüge bzw. zum Inhalt einer Verschwörung erklärt. Diese Form der Verwerfung kann Vernichtungswünsche aktivieren, etwa in Gestalt von Vorbereitungen auf einen „Tag X“ des großen Reinemachens.
Das Wort Negationismus, das bislang für die Leugnung eines Völkermords, besonders des organisierten Mordes an den Juden im Nationalsozialismus, reserviert war, wird nun auch im Zusammenhang mit der Leugnung der COVID-19 Virus-Pandemie gebraucht.
Können die Entstehung und die Wirkungen dieser gemeinhin als „irr, verrückt, hirnverbrannt“ bezeichneten Äußerungen durch klinisch-theoretische Konzepte der Psychoanalyse wie Verneinung, Verwerfung und Negativismus erhellt werden?
Und steckt in neurotischen und psychotischen Konfigurationen der Verwerfung etwas „Virales“, das sogar stabilere Massenbildungen herstellen kann?
Einleitung C.-D. Rath
„Die Bejahung – als Ersatz der Vereinigung – gehört dem Eros an, die Verneinung – Nachfolge der Ausstoßung – dem Destruktionstrieb. Die allgemeine Verneinungslust, der Negativismus mancher Psychotiker ist wahrscheinlich als Anzeichen der Triebentmischung durch Abzug der libidinösen Komponenten zu verstehen.“ (S. Freud [1925h]. Die Verneinung. GW 14, S. 15; SA 3, S. 376.)
„Verwerfung hat bei Freud drei Valenzen: 1. als Vorstufe der Verdrängung, d.h. als forclusion im Lacan'schen Sinn, 2. als die Verdrängung selbst, 3. als ein neuer, ökonomisch besserer Mechanismus, der die Verdrängung ablöst (als Fortschritt), eine Verwerfung, die nicht auf einem Automatismus beruht, sondern auf einem Urteil. Es gibt Verwerfung also mit und Verwerfung ohne Urteil.“
(C.-D. Rath [2013]: Die »neuerliche Prüfung« als Ziel der Konstruktionen in der Analyse. Drei Arten der Verwerfung bei Freud. In: „Berliner Brief“ [Hrg. Freud-Lacan-Gesellschaft Berlin], Sonderheft VII "Was in der psychoanalytischen Kur wirkt", S. 185-210.)
Peter Müller (Karlsruhe): Negativismus, Verneinung, Verwerfung
"Wo ist der Vater da drin? Er ist im Ring, der alles zusammenhält.“ (Jacques Lacan: Die Psychosen, Seminar III ; s.u., S. 376, frz. S. 359)
Zur Lektüre empfohlen:
- S. Freud (1896): Analyse eines Falles von chronischer Paranoia [Frau P.] (=Weitere
Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen, Kap. III). GW I, S. 392-403.
- S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904. Frankfurt a.M.: S. Fischer. Brief 112 v. 6. Dez. 1896, S. 217-226.
- J. Lacan: Die Psychosen, Seminar III, Vorlesung XI v. 15. 2. 1956 („Über die Verwerfung eines ursprünglichen Signifikanten“); Abschnitt 3, S. 181-187, bezogen auf den obigen 112. Brief Freuds an W. Fließ (= Brief 52 in der alten Ausgabe).
Barbara Marte (Portici/Napoli): Anmerkungen zum Negativen bei Hegel, Freud und Heidegger
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Die Teilnehmer dieses Seminars erkunden die Funktion von Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, wie sie sich in der psychoanalytischen und politischen Erfahrung darstellen.
Dazu gehören folgende Fragen: Wenn heute allenthalben Grenz-Spektakel inszeniert werden, vermag die Psychoanalyse das darin wirkende Begehren und Aufbegehren zu erhellen und Zusammenhänge etwa mit Problematiken des Körper-Ichs und der Besetzung erogener Randzonen zu erkennen? Wie funktioniert psychisch das Abgrenzen, Ausgrenzen und Eingrenzen, Isolieren, Eindämmen in Neurose, Psychose, Perversion? Und wie das Umschlagen von Lust/Unlust und Schmerz? Von Bindung und Entbindung? Was bewirken die unterschiedlichen Formen der Verwerfung? Wie kann – "Lust an der Grenze" – plaisir die überbordende jouissance eindämmen?
- dem propagandistischen Schreckensbild offener Grenzen, in deren Folge die einheimischeBevölkerung und ihre Kultur in einer Migrantenflut umkommen sollen,
- subjektiven und kollektiven Identifizierungszwängen, den Politiken der Andersartigkeit, demBeschwören einer besonderen Gruppen-Identität und einer diffusen Sehnsucht nach Souveränität,
- Globalisierungsangst, Entgrenzungssehnsucht und die Wirksamkeit von Befreiungsversprechen, die
zur Einschließung in Kommunikations- und Zeichensysteme verführen,
- der Faszination am Niederreißen von Grenzen oder an (kalkulierten, provokativen, kopflosen) Grenzüberschreitungen,
- der Koexistenz von Gefühlsrohheit und höchster Sensibilität im Narzissmus der kleinen Differenzen, - der Aufhebung von Grenzkontrollen oder deren Wiedereinführung (auch bezüglich sprachlicher und sittlicher Korrektheit oder ästhetischer und ökologischer Richtwerte und Normen)?
Wie werden diese Prozesse in kollektiven und individuellen Mythen transportiert? Welche Rolle spielen dabei Sprache, Topologie (mit ihren Schranken und Knotungen) und Sexualität?
Studieren wir auch die Grenze als Verbindende, also den Grenzverkehr zwischen den "Reiche[n], Gebiete[n], Provinzen, in die wir den Seelenapparat der Person zerlegen" (Freud: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, GW XV, S. 79).
"Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres Selbst, unseres eigenen Ichs. Dies Ich erscheint uns selbständig, einheitlich, gegen alles andere gut abgesetzt. Dass dieser Anschein ein Trug ist, dass das Ich sich vielmehr nach innen ohne scharfe Grenze in ein unbewusst seelisches Wesen fortsetzt, das wir als Es bezeichnen, dem es gleichsam als Fassade dient, das hat uns erst die psychoanalytische Forschung gelehrt, die uns noch viele Auskünfte über das Verhältnis des Ichs zum Es schuldet. [...]
Die Pathologie lehrt uns eine große Anzahl von Zuständen kennen, in denen die Abgrenzung des Ichs gegen die Außenwelt unsicher wird, oder die Grenzen wirklich unrichtig gezogen werden; Fälle, in denen uns Teile des eigenen Körpers, ja Stücke des eigenen Seelenlebens, Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle wie fremd und dem Ich nicht zugehörig erscheinen, andere, in denen man der Außenwelt zuschiebt, was offenbar im Ich entstanden ist und von ihm anerkannt werden sollte. Also ist auch das Ichgefühl Störungen unterworfen und die Ichgrenzen sind nicht beständig."
Freud (1929): Das Unbehagen in der Kultur, GW XIV, S. 423f. -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Die weiteren Samstagstermine (immer 17-19h, alle via ZOOM, evtl. hybrid) sind voraussichtlich
6. März: Prokrastination. Die Deadline und das Dehnen der Grenze.
Beitrag von Susanne Hübner (Berlin)
17. April: Schmutzlust und sauberer Spaß
Zur Lektüre empfohlen:
Freud, Sigmund (1913): Geleitwort zu Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitsrecht der Völker von John Gregory Bourke. GW X, S. 453-455. Auch in J.G. Bourke: Das Buch des Unrats. Frankfurt a.M. Eichborn Verlag 1992, S. 5-8.
8. Mai: Die heilsame Erschaffung/Erfindung einer schrecklichen Grenze in der Psychose. Beitrag von Gabrielle Gimpel (Toulouse)
19. Juni.
Teilnahmegebühr:
Wer nicht Mitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft (FLG) ist, bezahlt .
Hier die :
IBAN: DE67 1004 0000 0572 7128 00
BIC: COBADEFFXX (Commerzbank Berlin).
Freud-Lacan-Gesellschaft (www.freud-lacan-berlin.de; auch in facebook)
Das aktuelle Programm auf der Internetseite unter "Arbeitsgruppen & Seminare"
Kontakt: Claus-Dieter Rath, Niebuhrstr. 77, 10629 Berlin (RathCD@aol.com)