Ein öffentliches Seminar der Freud-Lacan-Gesellschaft Berlin
Leitung: Claus-Dieter Rath
Liebe Teilnehmer und Interessenten,
die Sitzung dieses Seminars findet Samstag, 18. März 2023 in der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin (PsyBi, Geisbergstrasse 29) und als Online-Erweiterung via ZOOM statt.
Wer teilnehmen möchte, melde sich per E-Mail an (bei Seminar-RathCD@t-online.de).
Ich bitte um Mitteilung, ob Sie in der PsyBi oder via ZOOM teilnehmen möchten. Für letzteres erhalten Sie wenige Tage vorher einen Teilnahmecode.
Die Veranstaltung beginnt 17.15h. Per Zoom können sich schon ab 17.00h einklinken.
Claus-Dieter Rath (Berlin)
Samstag, 18. März 2023 (17.15h – 19h):
›Haben wir uns jetzt verstanden!?‹
Der Trick mit der heilbringenden ›Kommunikation‹. Erstickung von Besonderheiten. Übereinstimmung als Bedingung einer Zugehörigkeit.
Wir sind abhängig davon, uns verständlich machen zu können und verstanden zu werden. Dabei haben wir mit unserer Gespaltenheit (bewusst/unbewusst) und mit Sprach-Barriere (im doppelten Sinn) zu kämpfen.
Es wird heute der Anschein erweckt, alles sei sagbar, kommunizierbar und daher heilbar. Zugleich untersteht unsere Kultur, die sich ihrer Vielfalt rühmt, einem Diktat der Eindeutigkeit und der Übereinstimmung. In der psychoanalytischen Praxis kann etwas vom Anpassungsdruck der jüngeren Generationen vernommen werden.
Zur Lektüre empfohlen:
Paul-Laurent Assoun: Psychanalyse, malentendu et communication. Dans Hermès, La Revue 2019/3 (n° 85), pages 55 à 61 Éditions CNRS Éditions. Im Internet: https://www.cairn.info/revue-hermes-la-revue-2019-3-page-55.htm
Mario Perniola: Wider die Kommunikation. (Übers. S. Schneider) Berlin: MERVE 2005. [Contro la comunicazione. Torino: G. Einaudi 2004]
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Von psychoanalytischen und politischen Erfahrungen ausgehend erkunden die Teilnehmer dieses Seminars Erscheinungen, Strukturen und Vorstellungen der Abhängigkeit, Unabhängigkeit und Interdependenz.
Abhängig sind wir von anderen Personen, von gesellschaftlichen Verhältnissen und Institutionen, von den Naturgewalten und deren Zähmung, von Arbeit (und Kulturarbeit), von nährenden, heilenden, zerstörenden Substanzen, vom Trieb und dessen Transformationsmöglichkeiten oder von Zwangshandlungen, die den Trieb und die Angst in Schach halten sollen. Und überhaupt von logischen Voraussetzungen. Freud untersuchte Bauweise und Funktionen der Psyche beispielsweise im Hinblick auf die „Abhängigkeiten des Ichs“ (Kap. 5 von Das Ich und das Es).
Diese Dimensionen betreffen uns auf verschiedene Weisen: als biologische Abhängigkeit des Menschen-Babys, die Abhängigkeit von Liebe, als Anerkennung unseres Begehrens und unserer Präsenz in einer Gemeinschaft, die uns als ihr Mit-Glied anerkennt. Generell die Abhängigkeit von einer symbolischen Ordnung als symbolischer Stütze: anti-inzestuöse Grenzsetzungen, Sprache, Kulturordnung, Väterliche Metapher, Wissen.
Dabei differieren das objektiv Feststellbare und subjektive Überzeugungen, also Illusionen, Ignoranz und Verkennung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit: „Ich kann mir das … (nicht) erlauben“, „Ich kann jederzeit aufhören“, „Ich bin mein eigener Herr“, bis hin zu den Äußerungen masochistischer Komponenten des Sexualtriebs in der „gläubigen Gefügigkeit“ (Freud), dem „lustvollen Gehorchen“ (Ferenczi) und der „Freiwilligen Knechtschaft“, die Etienne de la Boétie schon Mitte des 16. Jahrhunderts beschrieben hat.
Die psychoanalytische Kur hat mit einem Paradox zu kämpfen, denn eines ihrer Ziele lautet: Verantwortung übernehmen können für die eigenen Akte und Wahlentscheidungen – doch kommt dieser Emanzipationsprozess, dessen Dynamik von der Übertragung als Motor und Instrument bestimmt wird, nicht ohne neuerliche, massive Abhängigkeit aus.
Jede Konzeption des Ichs (in seiner behaupteten Autonomie und in seiner Abhängigkeit) und des Subjekts (als unterworfenem und als souveränem) siedelt in diesem Spannungsfeld.
Eine funktionierende Interdependenz ist die innere Voraussetzung des Freud’schen Ideals einer menschlichen Arbeitsgemeinschaft, die auf Liebesbindungen, Identifizierungen und Triebeinschränkungen gründet (vgl. Freuds Begriff der ‚Kulturarbeit‘).
Literaturhinweise:
Sigmund Freud (1921c). Massenpsychologie und Ich-Analyse. In GW 13, S. 71-161; StA 9, S. 65-134.
Sigmund Freud (1923b). Das Ich und das Es. In GW 13, S. 237-289; StA 3, S. 282-325.
Étienne de La Boétie: Von der freiwilligen Knechtschaft (zweisprachig). Übers. u. hg. v. Horst Günther. EVA, Frankfurt/M. 1980 (im Anhang: "Quellen, Umkreis, Wirkung") (u.a. Ausgaben; die Übersetzung von G. Landauer, 1910, ist als kindle e-book gratis erhältlich).
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Termine (immer 17-19h) im ersten Halbjahr 2023:
- April: Not des Lebens und Technik (Verfahrensweisen, Geräte, Lebenstechniken, Symptom als Technik, Technik der Psychoanalyse, …)
- Mai: Psychoaktive Substanzen als Kalkül der Lebensführung
- Juni: Abhängigkeiten in psychoanalytischen Gesellschaften
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Teilnahmegebühr: Wer nicht Mitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft (FLG) ist, bezahlt 10€ pro Sitzung (Studenten u. Arbeitslose 5€).
Hier die Bankverbindung der FLG:
IBAN: DE67 1004 0000 0572 7128 00
BIC: COBADEFFXXX (Commerzbank Berlin).
Freud-Lacan-Gesellschaft (www.freud-lacan-berlin.de; auch in facebook)
Das aktuelle Programm auf der Internetseite der FLG
Kontakt: Claus-Dieter Rath, Niebuhrstr. 77, 10629 Berlin
(Seminar-Mailadresse: Seminar-RathCD@t-online.de)