Veranstalter: Freud-Lacan-Gesellschaft, Berlin
Leitung: Claus-Dieter Rath (rathcd@aol.com)
Nächste Termine: Samstag, 12. Februar, 19. März – jeweils 17:00 bis 19:00 Uhr
Teilnahmegebühr: Wer nicht Mitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft (FLG) ist, bezahlt 10€ pro Sitzung (Studenten u. Arbeitslose 5€).
Liebe Teilnehmer und Interessenten,
die Sitzung dieses Seminars findet Samstag, 12. Februar 2022 nur online via ZOOM statt.
Wer teilnehmen möchte, melde sich per E-Mail an (bei Seminar-RathCD@t-online.de). Sie erhalten wenige Tage vorher eine Einladung mit einem Teilnahmecode.
Die Veranstaltung beginnt 17.15h. Sie können sich aber schon ab 17.00h einklinken.
(In den folgenden Monaten wird das Seminar je nach Stand der Vorsichtsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie auch in der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin (PsyBi) stattfinden, als Hybrid-Veranstaltung, d.h. mit Einbezug der auswärtigen Teilnehmer via Online-Konferenz.)
Samstag, 12. Februar 2022 (17.15h – 19h) Gespräch über drei Bezugspunkte von Abhängigkeiten
Macht, Subjekt, Freiheit
Einführung von Claus-D. Rath
In welchem Umfang die Individuen bedrohlichen Mächten ausgeliefert und sie daher auf Schutzmächte angewiesen sind, zeigen uns die Covid-Pandemie und die weltweit wütenden Unwetter. Manche dieser Machtwirkungen sind nicht (unmittelbare) Auswirkungen menschlichen Willen, andere gehen von einzelnen Akteuren aus.
Die Not, körperliche und psychische Leiden, die schwer erträgliche Ungewissheit bezüglich der Ursachen und der Auswirkungen der Pandemie und der Naturkatastrophen als auch die Einschränkungen allgemeiner und individueller Freiheiten belasten das Vertrauen der Einzelnen in Wissenschaft, Heilkunde, Technologien, Regierungskunst, Ökonomie, Massenmedien. Sie erleben eine Verwirrung ihres Gefühls für Vernunft und Unvernunft, für objektiv Nachweisbares und subjektiv Empfundenes, für Fürsorge und Verfolgung, Heilung und Verletzung, für Einverständnis und Strafangst, Eigenverantwortung und Autoritätsgehorsam, für eigenes Urteil und Konformität, für Rationales und Irrationales. Und sie bedrängt die Spannung zwischen ihren individuellen Freiheiten und den Anstrengungen, die ihnen im Namen der Geselligkeit, der Erhaltung der Lebensbedingungen ihrer Gemeinschaft, ja des gesellschaftlichen Lebens überhaupt, abgefordert werden (orientiert an Idealen wie Solidarität, Nächstenliebe, Selbstzucht).
In diesen Spannungsfeldern siedeln auch unterschiedliche Konzeptionen des Ichs (als autonomes oder als abhängiges) und des Subjekts, der Subjektivität und Subjektivierung (als souverän, als Nicht-Objekt und als – buchstäblich – unterworfenes sub-jectum). Diese Begriffe erfahren in sozialphilosophischen aber auch in psychoanalytischen Texten Bedeutungsverschiebungen, oft auch beim selben Autor. Subjekt ist bisweilen ein Wunschprodukt (es soll entstehen wie in einer von Lacans Lesarten des „Wo es war, soll ich werden“), es ist ein Ganzes, das in der herrschenden Gesellschaft nur unterdrückt und beschädigt leben kann, oder ein Konstrukt, etwas Schwindendes, aber auch ein dem Gesetz der Sprache unterworfenes (ebenfalls bei Lacan; unterworfen hier nicht im Sinn einer Verblendung durch ein überschätztes Sexualobjekt wie manchmal bei Freud).
Der Begriff Macht erscheint in der psychoanalytischen Literatur selten in Bezug auf Machtverhältnisse, die das Leben der Menschen strukturieren und Machtspiele, denen sie sich hingeben. Umso mehr ist die Rede von der Wirkmacht psychischer Instanzen, des Gesetzes der Sprache, der Sexual- und Todestriebe, der Verdrängung, der Angst und der Obsessionen (Zwangsgedanken und -handlungen), oder der Suggestion und der allmächtig scheinenden Produkte einer Übertragung.
Wie in Nachbarfeldern der Psychoanalyse die Verhältnisse zwischen Macht, Subjekt und Freiheit gedacht und dargestellt werden, lässt sich am Beispiel der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und den Forschungen von Michel Foucault skizzieren. In beiden gibt es Bezüge auf einzelne Konzepte der Psychoanalyse (unabhängig von der Wertschätzung oder Missachtung der psychoanalytischen Kur).
"Nahe beieinander auf getrennten Bergen" sieht Catherine Millot (S. 26) die „Konzeption des Subjekts nach Foucault, das in dem, was er als ›System‹ bezeichnet, gefangen ist, und dem Subjekt als Effekt des Signifikanten, das Lacan mit Hilfe der Linguistik als Essenz der Freud’schen Entdeckung herausarbeitet.“
Im Rückblick auf die 50er Jahre und die Lektüre der Bücher von Lévi-Strauss und der ersten Texte Lacans äußert Foucault (1981):
„Wir erkannten damals, dass die Philosophie und die Wissenschaften vom Menschen einem sehr traditionellen Verständnis des menschlichen Subjekts verhaftet waren und dass es nicht ausreichte, bald mit den einen zu sagen, das Subjekt sei radikal frei, bald mit den anderen, es sei von den sozialen Bedingungen determiniert. Wir erkannten, dass wir alles befreien mussten, was sich hinter der scheinbar so einfachen Verwendung des Personalpronomens »Ich« verbarg. Das Subjekt ist etwas Komplexes und Zerbrechliches, über das man nur schwer sprechen kann, aber ohne das wir gar nicht sprechen können.“ (Dits et ecrits 4, dt., S. 248f.)
Leo Löwenthal, einer der Mitbegründer der Kritischen Theorie, polemisiert 1989 gegen eine grassierende intellektuelle Mentalität der ›Postmoderne‹, die „die Möglichkeit verbindlicher historischer Erfahrung“ überhaupt bestreite. Seine Gruppe habe in „theoretischen und empirischen Arbeiten immer darauf hingewiesen, wie eine entfesselte instrumentelle Vernunft zur Ursache zivilisatorischer Katastrophen wurde“ (1990, S. 6). Der „Diskurs von der Liquidation, dem Tod, dem Schwinden und Verschwinden des Subjekts“ enthalte „die Absage an jede intersubjektive kritische Interpretation und damit an die Möglichkeit des Potentials einer leidfreieren Gesellschaft“ (1990, S. 7).
Foucaults Problematisierung des Subjekts und der Subjektivierung macht ihn aber nicht zu einem Vertreter des „anything goes". Allerdings versuchen seine historischen Analysen der Machtwirkungen von Rationalitäten in mancher Hinsicht über die der Frankfurter Schule hinauszugehen.
Wie „Subjektivität“, „Macht“, „Freiheit“ und „Befreiung“ in der psychoanalytischen Erfahrung auftauchen, bleibt weiteren Sitzungen dieses Seminars über „Abhängigkeiten, Unabhängigkeit und Interdependenz“ vorbehalten.
Zur Lektüre empfohlen:
- Foucault, Michel (1987 [1982]): Wie wird Macht ausgeübt? In Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow (Hrg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik (übers. C.-D. Rath u. U. Raulff). Frankfurt a. M.: Athenäum (Neuauflage bei Quadriga, BELTZ/Weinheim), S. 251-261. Im Internet findet man dieses Buch eingescannt hier...
Der obige Text über die Macht ist (neu übersetzt v. M. Bischoff) auch erschienen in: Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. 4, Frankfurt: Suhrkamp 2005, S. 281-294.
- Foucault, Michel (2005 [1984]: Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit (übers. H. Kocyba). In: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, Bd. 4, S. 875-902.
- Löwenthal, Leo (1990): Rede anlässlich der Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises am 1. Oktober 1989. In (ders.): Untergang der Dämonologien. Studien über Judentum, Antisemitismus und faschistischen Geist. Leipzig: Reclam 1990, S. 5-9
- Millot, Catherine: Le fantasme de Foucault. In: Essaim. Revue de psychanalyse, No. 10, 2002, S. 25-33.
Im Internet hier...
- Rath, Claus-Dieter: Covid-19 in Analyse: Übertragung, Ansteckung und Übermittlung. Eine Skizze. In: RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse, Nr. 95 (2021), S. 167-171.
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Von psychoanalytischen und politischen Erfahrungen ausgehend erkunden die Teilnehmer dieses Seminars Erscheinungen, Strukturen und Vorstellungen der Abhängigkeit, Unabhängigkeit und Interdependenz.
Abhängig sind wir von anderen Personen, von gesellschaftlichen Verhältnissen und Institutionen, von den Naturgewalten und deren Zähmung, von Arbeit (und Kulturarbeit), von nährenden, heilenden, zerstörenden Substanzen, vom Trieb und dessen Transformationsmöglichkeiten oder von Zwangshandlungen, die den Trieb und die Angst in Schach halten sollen. Und überhaupt von logischen Voraussetzungen. Freud untersuchte Bauweise und Funktionen der Psyche beispielsweise im Hinblick auf die „Abhängigkeiten des Ichs“ (Kap. 5 von Das Ich und das Es).
Diese Dimensionen betreffen uns auf verschiedene Weisen: als biologische Abhängigkeit des Menschen-Babys, die Abhängigkeit von Liebe, als Anerkennung unseres Begehrens und unserer Präsenz in einer Gemeinschaft, die uns als ihr Mit-Glied anerkennt. Generell die Abhängigkeit von einer symbolischen Ordnung als symbolischer Stütze: anti-inzestuöse Grenzsetzungen, Sprache, Kulturordnung, Väterliche Metapher, Wissen.
Dabei differieren das objektiv Feststellbare und subjektive Überzeugungen, also Illusionen, Ignoranz und Verkennung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit: „Ich kann mir das … (nicht) erlauben“, „Ich kann jederzeit aufhören“, „Ich bin mein eigener Herr“, bis hin zu den Äußerungen masochistischer Komponenten des Sexualtriebs in der „gläubigen Gefügigkeit“ (Freud), dem „lustvollen Gehorchen“ (Ferenczi) und der „Freiwilligen Knechtschaft“, die Etienne de la Boétie schon Mitte des 16. Jahrhunderts beschrieben hat.
Die psychoanalytische Kur hat mit einem Paradox zu kämpfen, denn eines ihrer Ziele lautet: Verantwortung übernehmen können für die eigenen Akte und Wahlentscheidungen – doch kommt dieser Emanzipationsprozess, dessen Dynamik von der Übertragung als Motor und Instrument bestimmt wird, nicht ohne neuerliche, massive Abhängigkeit aus.
Jede Konzeption des Ichs (in seiner behaupteten Autonomie und in seiner Abhängigkeit) und des Subjekts (als unterworfenem und als souveränem) siedelt in diesem Spannungsfeld.
Eine funktionierende Interdependenz ist die innere Voraussetzung des Freud’schen Ideals einer menschlichen Arbeitsgemeinschaft, die auf Liebesbindungen, Identifizierungen und Triebeinschränkungen gründet (vgl. Freuds Begriff der ‚Kulturarbeit‘).
Literaturhinweise:
Sigmund Freud (1921c). Massenpsychologie und Ich-Analyse. In GW 13, S. 71-161; StA 9, S. 65-134.
Sigmund Freud (1923b). Das Ich und das Es. In GW 13, S. 237-289; StA 3, S. 282-325.
Étienne de La Boétie: Von der freiwilligen Knechtschaft (zweisprachig). Übers. u. hg. v. Horst Günther. EVA, Frankfurt/M. 1980 (im Anhang: "Quellen, Umkreis, Wirkung") (u.a. Ausgaben; die Übersetzung von G. Landauer, 1910, ist als kindle e-book gratis erhältlich).
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Die weiteren Samstags-Termine (immer 17-19h) im ersten Halbjahr 2022:
19. März
2. April
7. Mai
11. Juni
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Teilnahmegebühr: Wer nicht Mitglied der Freud-Lacan-Gesellschaft (FLG) ist, bezahlt 10€ pro Sitzung (Studenten u. Arbeitslose 5€).
Hier die Bankverbindung der FLG:
IBAN: DE67 1004 0000 0572 7128 00
BIC: COBADEFFXXX (Commerzbank Berlin).
Freud-Lacan-Gesellschaft (www.freud-lacan-berlin.de; auch in facebook)
Das aktuelle Programm auf der Internetseite der FLG
Kontakt: Claus-Dieter Rath, Niebuhrstr. 77, 10629 Berlin
(Seminar-Mailadresse: Seminar-RathCD@t-online.de )
Wir sind abhängig von anderen Personen, von gesellschaftlichen Verhältnissen und Institutionen, von den Naturgewalten und deren Zähmung, von Substanzen, von Zwangshandlungen – und von logischen Voraussetzungen überhaupt.
Sie betreffen uns auf verschiedene Weisen: als biologische Abhängigkeit des Menschen-Babys, die Abhängigkeit von Liebe, die Abhängigkeit von einer symbolischen Ordnung (als symbolischer Stütze: Sprache, Kulturordnung, Väterliche Metapher, Wissen), als Anerkennung unseres Begehrens und unserer Präsenz in einer Gemeinschaft, die uns als ihr Mit-Glied anerkennt.
Dabei differieren objektiv feststellbare und subjektive Abhängigkeiten und Unabhängigkeit: letztere sind diesbezügliche Illusionen, Ignoranz und Verkennung.
Ein Ziel der psychoanalytischen Kur lautet: Verantwortung übernehmen können für die eigenen Akte und Wahlentscheidungen. Doch kommt in Gestalt der Übertragung dieser Emanzipationsprozess nicht ohne neuerliche, massive Abhängigkeit aus.
Jede Konzeption des Ichs (in seiner behaupteten Autonomie und in seiner Abhängigkeit) und des Subjekts (als unterworfenem und als souveränem) siedelt in diesem Spannungsfeld.
Eine funktionierende Interdependenz impliziert das Freud’sche Ideal der menschlichen Arbeitsgemeinschaft, die der Liebesbindungen und Identifizierungen bedarf und die auf Triebeinschränkungen gründet (vgl. sein Begriff der ‚Kulturarbeit‘).